Alter zum Zeitpunkt des Briefes: 
20.0 Jahre

Jetzt haben wir uns fast 6 Jahre nicht gemeldet und haben schon wirklich ein schlechtes Gewissen, dafür dann aber heute mal besonders viel von uns.

Tja, so ein Leben zu viert erweist sich dann doch als turbulenter als erwartet…

Nummer 2 braucht einen Namen

Sommer 2003, ich war mit Kind Nummer 2, männliches Geschlecht stand schon fest, schwanger. Jetzt ging das große Grübeln los, wie sollte dieser kleine Kerl heißen. Frank und ich waren uns überhaupt nicht einig, was der eine gut fand, ging für den anderen absolut nicht. Also fragten wir Lena, wie ihr kleiner Bruder heißen solle. „Tim“ war Lenas Antwort. „Nein Lena, so heißt doch schon der Sohn von Onkel Martin.“ „Max" war Vorschlag Nummer 2 von Lena - „Nein, das geht auch nicht, so heißt doch schon der Sohn von Onkel Matthias - es muss ein Name sein, den noch keiner hat." Tja, und dank dieser tollen Einschränkung (einen Namen, den noch keiner hat -haha) kam dann „Mutz". Und davon war Lena dann auch nicht mehr abzubringen. Es blieb bei Mutz. Wir einigten uns somit dann einstimmig auf eine leichte Abwandlung, denn so exotisch sollte der Name nun doch nicht sein, auf "Moritz".

Schulabschluss 2007

Lena ist gerade in den letzten Jahren sehr gern in die Schule gegangen, so dass wir die Gesamtschulzeit (12 Jahre) voll ausnutzten ( Lena hätte die Schule auch schon nach 10 Jahren verlassen können.) Wir hätten auch nie erwartet, dass irgendwann mal ein Signal von Lena nach Veränderung kommen könnte. Aber im letzten Schuljahr wurde ihr Wunsch, nicht mehr in die Schule zu gehen, sondern in die Werkstatt, immer stärker.

Wir hatten durch die Schule und die Praktikumstellen stets die Empfehlung „ Förderbereich“ bekommen. Wir sahen wie gut die Praktika im Förderbereich Lena taten und auch wir waren uns einig, dass Lena nach der Schule den Förderbereich besuchen sollte.

Die Anzahl der Förderbereichsplätze ist jedoch in Berlin nicht ausreichend, wir wollten dennoch nicht einfach das nehmen, was uns zugeordnet würde, wir wollten uns schon in die Entscheidung mit einmischen. Also fragten wir in den Werkstätten mit Förderbereich in unserer Umgebung nach, ob wir uns mal die Einrichtung ansehen könnten. Insgesamt sahen wir uns so fünf Werkstätten an. Außer in einer wurden wir sehr nett informiert, und uns wurde die Einrichtung gezeigt. Die Unterschiede waren aber sehr groß. Sowohl die räumlichen Bedingungen, der Außenbereich, als auch der Ton, der in der Werkstatt herrschte. Einrichtung 5 mit dem unmöglichen Empfang wurde von uns gedanklich sofort abgewählt, denn hier merkten wir sofort, dass eine Zusammenarbeit mit den Eltern überhaupt nicht erwünscht ist. Ein Förderbereich stach sehr positiv heraus. Der Umgangston war nett und warm, die Räume liebevoll eingerichtet, der Gartenbereich wurde intensiv genutzt und es gab Kreativangebote. Wir beantragten zunächst einen Platz für ein 2- wöchiges Praktikum und Lena kam in diesem Praktikum wunderbar zurecht, war aber insgesamt unterfordert. Also bekamen wir nochmals ein 2- wöchiges Praktikum in diesem Förderbereich, dieses Mal jedoch in Stufe 2 (weniger Hilfe, mehr Selbständigkeit). Lena wollte nun gar nicht mehr in die Schule. Tatsächlich wurde dann auch ein Platz in der Gruppe frei, in der Lena das zweite Praktikum gemacht hatte. Trotz aller Befürchtungen, dass es Probleme bei der Kostenübernahme für den Transport kommen könnte (Förderbereich ist in einem anderen Stadtbezirk und nicht von der Entfernung der am nahesten gelegene), willigte das Amt problemlos ein und Lena ist seit September 2007 nun im Förderbereich und es geht ihr richtig gut.

Lena ist die Pechmarie

Wir staunten nicht schlecht, als wir erfuhren, dass Lena in der Weihnachtstheateraufführung des Förderbereichs die Pechmarie spielen sollte. Lena - die macht doch nicht dann das was sie soll ! Wir kamen etwas spät und es waren nur noch in der 1. Reihe Plätze frei. Hinter dem Vorhang war nichts zu hören, also konnte Lena noch nicht dahinter sein, denn Lena hält nie den Mund…

Der Vorhang öffnete sich und Lena saß doch schon auf der Bühne (doch ganz still). Kaum sah Lena uns (wir waren ja auch in der 1. Reihe nicht zu übersehen), sprang sie auf und begann in vollster Lautstärke und voller Inbrunst ihre Rolle vorzutragen. Sowohl Publikum als auch die Betreuer mussten erst mal lachen, damit hatte keiner gerechnet, denn am Tag vorher war eine Vorstellung für die Förderbereichsmitglieder und da war Lena eher verhalten. Der Vorhang wurde schnell nochmals geschlossen und wir hörten Lena weinen, sie war wohl jetzt ganz irritiert. Aber dann öffnete sich der Vorhang wieder und Lena spielte ihre Rolle toll, mit viel Ausdruck und Spaß. Da hat sie uns echt überrascht !!!

Reiten / Hippotherapie

Seit nunmehr 7 Jahren geht Lena regelmäßig jeden Mittwoch für 30 Minuten reiten.Was mit langsamem Schritt begann ist jetzt sehr viel temporeicher und erfordert Körperbeherrschung und auch Mut. So muss sich Lena auf dem Pferd umdrehen (Pferd steht ganz still). Natürlich ist da auf einmal der Kopf des Pferdes verschwunden ! An diesem Spiel hat Lena immer noch viel Spaß. Dann sitzt sie mal im Seitsitz bei sehr langsamem Tempo des Pferdes, während eines mittleren Tempos reitet sie dann mal freihändig. Sie ist aber die gesamte Zeit über einen Gurt, den der Therapeut hält, gesichert. Die letzten fünf Minuten darf dann auch Moritz mit reiten, stolz sitzen dann die beiden hoch zu Ross und schauen auf ihre kleinen Zuschauer runter.

Letztes Wochenende wollte Lena mal wieder ein altes Video von sich sehen und wir haben mit geschaut. Sehr auffällig war für uns im Nachhinein ihre schlechte Körperhaltung (Rundrücken, hängender Kopf), und wir sehen heute eine wesentlich verbesserte und straffere Körperhaltung. Wir denken, dass die Hippotherapie einen riesigen Anteil daran hat. Und das schöne war immer, dass Lena diese Therapie nie als Therapie empfunden hat, sondern immer ihren Spaß hatte und sicher auch weiter haben wird.

Lena als große Schwester

Nach der Geburt unserer Tochter Lena war es für uns lange Zeit unvorstellbar, uns für ein zweites Kind zu entscheiden. Wir waren schon so am Rande unserer Belastbarkeit, schlaflose Nächte, Beruf, Therapien … Eine weitere Sorge war auch, wie würde Lena mit einem Geschwisterkind zurechtkommen ?

Und so gingen 14 ½ Jahre ins Land. Moritz kam zur Welt und Lena war 15 Jahre alt. Schon in der Schwangerschaft entstand so `ne Art Vorfreude bei Lena, aber sie wusste ja nicht, was da so an Änderungen auf sie zukam …

Da dann der geplante Kaiserschnitt zu einer Kaiserschnittentbindung ohne Vorwarnung wurde (Moritz hatte sich einfach für einen schöneren Termin = Sonntag entschieden), war Lena fast unmittelbar bei der Geburt dabei und konnte ihren kleinen Bruder schon 5 Minuten nach der Geburt begutachten. Die Freude war groß.

Moritz war kein einfaches Baby, er weinte besonders abends lang und anhaltend. Erleichterung brachte dann cranio-sacrale Therapie. Er hatte durch die Geburt eine Blockade im oberen Halswirbelbereich (KISS - Syndrom) und mit der Lösung dieser Blockade wurde er umgänglicher. Aber für Lena blieb nicht mehr so viel Zeit übrig und auch die Nerven von uns waren stärker angespannt. Aber Lena stand immer über den Dingen, ganz gelassen trug sie die Verschlechterungen und freute sich von Anfang an grenzenlos über ihren Bruder. Als ich sie dann mal fragte, ob es denn ohne Moritz besser war, sagte sie ganz schockiert: „NEIN". Dann kam die Frage ob wir ihn behalten wollen (blöde Frage … ) und es kam von Lena ein erleichtertes „JA!!!".

Lena zeigte nie Eifersucht, schützt ihren Bruder, wenn er mal was ausgefressen hat und vergießt bittere Tränen, wenn er von uns Ärger bekommt.

Was ich auch so nie erwartet hätte, die beiden sind echt Geschwister, nicht Einzelkinder. Sowohl Lena als auch Moritz vermissen einander, wenn der andere nicht da ist. Natürlich gibt es aber auch Streit und Auseinandersetzungen !!! Die Stellung der beiden wechselt jetzt schon langsam. In einigen Bereichen wird Moritz schon zum großen Bruder und passt auf Lena auf. Als letzten Sonntag Lena eine Moralpredigt von Frank bekam, sie solle beim Essen auf ihren Teller sehen, kam von Moritz: „Papa, Lena hat eine Behinderung, die lernt das noch …. "

Heike, Mama von Lena (April, 2008)

 

Fotoalbum

Therapeutisches Reiten
Bild Thu, 11/12/2009 - 23:54
Lena mit ihrem Bruder Moritz
Bild Thu, 11/12/2009 - 23:55