Alter zum Zeitpunkt des Briefes: 
0.4 Jahre

Marcel wurde am 5.3.1997 in Magdeburg geboren. Er hat einen 13-Monate älteren Bruder, sein Name ist Daniel. Wer beim letzten Jahrestreffen dabei war, hat uns bereits kennen gelernt.

Hier ein Bericht über seinen bisherigen Lebensweg:

Schwangerschaft
Ich stand während der Schwangerschaft mit Marcel unter ständiger Kontrolle. Es wurde zwar geäußert, dass ich ein kleines Kind bekommen würde, ansonsten wurde nichts bedenkliches festgestellt. Sohn Daniel machte gerade die ersten Schritte, als Marcel 14 Tage zu früh auf die Welt kam.

Im Krankenhaus
Hierzu werde ich folgende Äußerungen der Ärzte nie vergessen:
Frühvisite: "Ach, sie sind die Mutti von dem Kind, dass eine Analfehlbildung hat!"
Stationsarzt: "Ich habe eine Mängelliste über ihr Kind erstellt. Wo soll ich anfangen, oben oder unten?"
Gastroenterologie: " ...seine sie doch froh, wenn ihr Kind nicht alt wird!"
Im Krankenhaus beneidete ich die stolzen Muttis mit ihren gesunden Babys. Marcel hatte zu kleine Nieren, Anpassungsschwierigkeiten (Atemaussetzer), Analfehlbildung und Missbildungen an den Ohren und Zehen, eine auffällig hohe Stimme ...
Es wurde mit einer Sofort-OP gedroht, wenn er nicht noch am Tag der Entbindung seinen ersten Stuhlgang hätte (wegen der Analfehlbildung). Stunden der Angst folgten, aber wir hatten Glück. Die Hebamme meinte, es wären immer die falschen Muttis, die es treffen würde. Marcel wurde 14 Tage an ein Atemüberwachungsgerät angeschlossen, zwischenzeitlich Magensonde und "Höhensonne". Als Marcel 10 Tage alt war, erhielten wir das Untersuchungsergebnis vom Genetiker. Für uns brach eine Welt zusammen. Ich besuchte Marcel 2-mal täglich im Krankenhaus und kümmerte mich in der restlichen Zeit um seinen Bruder. Die 20kg, die ich während der Schwangerschaft mit Marcel zugenommen hatte, nahm ich in gut 14 Tagen ab.

Marcel zu Hause
Es war eine große Umstellung und eine schwere Zeit, die ich kaum beschreiben kann. Von Stund an musste Daniel zwangsläufig sich daran gewöhnen, dass nun sein kleiner Bruder vorrangig die Hilfe seiner Mutter benötigte. Es war schwer, da Daniel selbst gerade 1 Jahr alt war und noch viel Zuwendung benötigte. Marcel saugte regelrecht meine ganze Kraft aus mir heraus. Nachts 7-8 mal aufstehen und dann das Kind zur Beruhigung auf dem Pezziball wippen. Marcel aß und trank schlecht. Ich kochte oft 3 verschiedene Breie in der Hoffnung, er würde etwas zu sich nehmen.. Ich gab ihm viel Kamillentee zu trinken. Dies heilte den von den Medikamenten angegriffenen Magen (diese waren wegen der ständigen Infekte nötig). Marcel war oft verschleimt, er wurde blau weil er durch Mund und Nase keine Luft bekam. Das Atemüberwachungsgerät piepste mehrmals am Tag und in der Nacht. Aus der Familie traute sich keiner Marcel allein zu beaufsichtigen, aus Angst vor den Atemaussetzern. Ich konnte abends kaum noch sprechen vor Erschöpfung. Am Tag ging ich viel spazieren, die frische Luft und der Spaziergang brachte mir etwas Erholung. Marcel lag im Kinderwagen und Daniel setzte ich zwischen seine Beine. Später hatte ich einen Zwillingsbuggy.

Marcel konnte mit ca. 1 1/2 Jahren sitzen und mit 3 Jahren laufen. Er hat mit seinen gut 5 Jahren einen Entwicklungsstand eines 2 1/2 jährigen gesunden Kindes. Sein Sprachverständnis ist sehr gut. Marcel spricht aber selbst nur ca. 5 Worte. Er macht sich aus einer Mischung von Gebärdensprache und Lauten aber gut bemerkbar. Eine Frau von d er Frühförderstelle förderte unser Kind 1x pro Woche für ca. 1 Std. zu Hause. Dies endete mit dem Beginn des Besuchs der integrativen Kindertagesstätte, die Marcel seit seinem 1. Lebensjahr besucht. Im August letzten Jahres wechselte er von einer Sondergruppe in eine Gruppe für verhaltensauffällige Kinder. Im Kindergarten wird er von einer Logopädin und einer Physiotherapeutin betreut. Marcel fühlte sich von Anfang an sehr wohl im Kindergarten und ich konnte dadurch 15 Stunden pro Woche arbeiten gehen. Die Abwechslung tat mir sehr gut.

Marcel (5 Jahre)

Marcel hat sich entgegen aller Voraussagen positiv entwickelt. Er ist ein liebenswertes, aufgewecktes und sehr aktives Kind. Marcel läuft kurze Strecken, allerdings auch unkontrolliert und ohne Gefahrenquellen einschätzen zu können. Er isst vieles selbständig, kaut aber schlecht und es kommt noch zu Erstickungsanfällen. Wir üben noch am "trocken" werden. Ständige Beobachtung und Aufmerksamkeit sind unerlässlich. Marcel sabbert noch viel an und macht vieles kaputt. Durch seine liebenswerte Art kann man ihm aber nicht lange böse sein. Ein großes Problem ist das "Kopf-schlagen" und die aggressiven Trotzreaktionen. Wir hoffen, dass wir das noch in den Griff bekommen.

Im Alltag dreht sich alles um Marcel. Urlaub ist nur Tapetenwechsel aber keine Erholung. Traurig werde ich noch immer vor allem auf Spielplätzen, wenn ich die gesunden Kinder spielen und die Muttis gemütlich und ruhig auf der Bank sitzen sehe, während ich wie ein schützender Engel meinem Kind auf das Klettergerüst folge.

Marcel wird dieses Jahr in eine Geistig-Behinderten-Schule eingeschult. Wir hoffen, dass er noch einen Schub nach vorn macht.

Schlusswort
Das Leben mit Marcel ist nicht leicht und uns beneidet auch keiner darum, dennoch haben wir ihn sehr lieb und möchten ihn auf keinen Fall missen!!!

Marcels Mutter Jeanette (Juni 2003)

 

Fotoalbum

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